Melanchthon-Dialoge zu „Erzählte und wütende Gemeinschaften“

Zweiter Teil der Gesprächsreihe über „Identität und Integration“ der Essener AWO und der städtischen Stabsstelle Integration im Bezirk III

Foto: AWO Essen / Sorgun

Zum zweiten Vortrag von PD Özkan Ezli im Rahmen der Gesprächsreihe über „Identität und Integration“ fanden sich überwiegend Fachkräfte der sozialen Arbeit aber auch Bürger*innen und Ehrenamtliche in der Melanchthon-Kirche in Holsterhausen ein. Viele von ihnen sind angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen besorgt und erhoffen sich von der Wissenschaft Orientierung für ein friedliches Zusammenleben. 

Der Kultur- und Literaturwissenschaftler präsentierte Gruppeninterviews von zwei Selbsthilfegruppen, die seit rund 20 Jahren existieren. Gewalterfahrungen spielen in beiden Gruppen eine zentrale Rolle – sei es als Opfer (Frauen) oder als Täter (Männer). Alle Teilnehmenden haben einen türkischen Migrationshintergrund. 

Ezli bezeichnete die Frauengruppe als „erzählte Gemeinschaft“. Die Frauen seien offen. „Diese Frauen verbindet ein Thema, verbinden besondere Erfahrungen, die sie miteinander teilen. Sie möchten diese Probleme öffentlich machen. Ihr Wille zur Gemeinschaft ist zugleich ein Wille zur Gesellschaft.“ Die zweite Gruppe sei eine sogenannte „wütende Gemeinschaft“ und sie sei geschlossen. Zu den Männern sagte Ezli: „In den Interviews zeigt sich kein eigenes, durch Motivation bestimmtes Thema. Das Ziel ist vielmehr die Abwertung der deutschen Gesellschaft. Obwohl es sich bei den Mitgliedern dieser Gruppe eigentlich um Täter handelt, verstehen sie sich als Opfer. Ihr Wille zur Gemeinschaft ist ein Wille gegen die Gesellschaft.“ Der Wissenschaftler betonte, dass die „erzählte Gemeinschaft“ die Probleme erkennt und die Brüche auch im Verhältnis zur Mehrheitsgesellschaft heilen möchte, während die „wütende Gemeinschaft“ Reparationen von der deutschen Gesellschaft verlangt. 

Nach Ezli existieren „erzählte“ und „wütende“ Gemeinschaften unabhängig von Nationalität, Religion, Alter und Themen. Um in den Dialog zu treten, brauche die Gesellschaft mehr Offenheit und Narrative. 

Die dreiteilige Impuls- und Gesprächsreihe der Melanchthon Dialoge wurde in Kooperation zwischen der AWO-Integrationsagentur und der städtischen Stabsstelle Integration im Bezirk III organisiert. Die Reihe wird vom Paul-Gerlach-Bildungswerk unterstützt. Der letzte Vortrag findet am 19.11.2024 statt, mit dem Titel „Überschätzte Identität. Oder: Wie wir uns wieder mit der Gemeinschaft beschäftigen können.“

Eine Zusammenfassung des Starttermins vom 24. Juli gibt es hier sowie ein Interview mit dem Referenten Özkan Ezli hier.

Autor*in Sorgun / Schönenborn
Interesse geweckt? Wir freuen uns auf Sie!