„Das wird täglich raffinierter“
Ex-Botschafter Christoph Eichhorn berichtete im „Mittwochstalk“ über „Fake News und Desinformation“
Bis auf den letzten Platz besetzt mit knapp 50 Zuhörer*innen war das jüngst vergangene „Mittwochsgespräch“ in der Geschäftsstelle der Essener AWO. Eigentlich kein Wunder, schließlich konnte der AWO-Vorstand Oliver Kern mit dem ehemaligen Botschafter Christoph Eichhorn erneut einen hochkarätigen Gast in der Talk-Reihe begrüßen. Darüber hinaus ging es auch um ein Thema, das nicht nur alle angeht, sondern das viele Menschen auch immer häufiger auf ihren Smartphones selbst erleben: Fake News (Desinformation).
Ein bundesdeutscher Kanzler, der mit Knarre im Anschlag neben einer getöteten Robbe posiert, und – flankiert von einem kleinen Bärenbild – auch noch dazu als Eisbär-Mörder bezeichnet wird; derselbe Herr mit dem prägnanten Eier-Kopf in einträchtiger Runde mit dem britischen Premier sowie dem französischen Präsidenten publiziert in einem Beitrag, der die Drei als „drogenabhängige Leiharbeiter“ tituliert – es waren schon bildstarke Beispiele, die Christoph Eichhorn mit zum Holsterhauser Platz gebracht hatte, um Fake News – gefälschte Nachrichten – zu illustrieren.
Fake News werden bewusst gestaltet und verbreitet, um zu täuschen und Schaden anzurichten. So viel wurde schon früh während des über eine Stunde währenden und höchst unterhaltsamen Vortrags des Mannes deutlich, der in seinem Leben u. a. Journalist bei der ARD und Austauschbeamter im amerikanischen Außenministerium war, in den deutschen Botschaften in Moskau und Washington gearbeitet hat und Teile seines Berufslebens als deutscher Botschafter in Estland und Bulgarien verbracht hat.
Man kann also sagen: Der Mann hat viel gesehen. Gezielt würden Fake News eingesetzt, um die Empörung der Nutzerinnen / Zuschauerinnen / Leserinnen auszunutzen und darüber möglichst viele Menschen zu erreichen. Sicher wären er und die meisten Anwesenden des Mittwochstalks nicht auf die Dreier-Runde im Zug nach Kiew hereingefallen – zu absurd der Text, zu kritisch die Quelle (Russisches Außenministerium). Doch den ovalköpfigen Bärentöter hatten bestimmt seinerzeit einige Internetnutzer*innen „gefressen“, zumal die Quelle der „Toronto General“ war – eine Einrichtung, die es zwar nicht gibt, doch das muss man erst einmal herausfinden.
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Richtigkeit von Informationen zu prüfen“, gab er den Gästen eine Reihe von Ratschlägen für den Hausgebrauch mit. „Sehr wichtig ist, zunächst in sich hineinzuhören und sich zu fragen, was einem selbst das Bauchgefühl verrät“, so Christoph Eichhorn. Und weitere Fragen zu stellen: Sieht die Nachricht professionell aus? Wer ist die Quelle? Warum erreicht mich die Nachricht? Werden Pro und Kontra dargestellt? Eine Prüfung der Nachricht über seriöse Portale (u. a. auch die Funktion „Faktencheck“ auf tagesschau.de) oder bei der Nichtregierungsorganisation „Lie Detectors“ (https://www.lie-detectors.org/), das gezielte Ansteuern und Prüfen der Originalquelle und gegebenenfalls die Überprüfung des Impressums der betreffenden Internetseite, die Nutzung der Google-Bildrückwärtssuche oder des YouTube-Dataviewers sind nur einige der Mittel, die zur Verfügung stehen. So kommt man beispielsweise auch einer auf den ersten Blick täuschend echt gestalteten Spiegel-Online-Seite auf die Spur, die in Wahrheit auf eine neofaschistische Plattform weiterleitet. „Doch wer hat dazu immer Zeit?“, so lautet eine realistische Alltagserfahrung des Akademikers: „Ein gutes Mittel ist auch, sich selbst zu fragen: Würde ich mein Geld auf den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht setzen?“, rät Christoph Eichhorn den Gästen.
Die hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht immer. Das wird deutlich, als Christoph Eichhorn seine Erlebnisse schildert als er persönlich der Nachricht nachging, die den Bau einer Mauer durch die Esten an ihrer russischen Grenze vermeldete und es sogar bis in die Tagesthemen geschafft hatte. „Ich war damals Botschafter in Estland und habe mich direkt an den estnischen Innenminister gewendet. Er zeigte mir alle Pläne, und um sicherzugehen, bin ich selbst zum betroffenen Grenzabschnitt gereist. Keine Mauer, nur einige Wild- und Grenzzäune fand ich dort vor. Die Nachricht war von irgendjemandem in die Welt gesetzt worden, eine Agentur hatte sie wohl aufgegriffen, und die Tagesschau übernahm sie“, berichtet Christoph Eichhorn.
Erst denken, dann klicken: Das wird wohl niemandem erspart bleiben – in Zeiten der immer perfekter werdenden Nachrichtenfälschungen, die mit Künstlicher Intelligenz erzeugt werden, erst recht. Christoph Eichhorn: „Das wird täglich raffinierter. Ich glaube, man muss intensiv über ,Medienbildung‘ diskutieren. Aktuell wird dies in Schulen vernachlässigt oder setzt in zu hohem Alter an. Man muss in der Altersklasse anfangen, in der das Smartphone zur Ausstattung gehört.“