15 Jahre Migrationsberatung: Systemrelevant wie nie zuvor
Hanimgül Ilhan, MBE-Beraterin der AWO Essen, zum MBE-Aktionstag: „Wir brauchen eine längerfristige Bewilligung von Personalstellen.“
Die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) und die Jugendmigrationsdienste (JMD) haben sich in Essen unter stetig steigender Nachfrage als systemrelevante Regeldienste etabliert und leisten eine unverzichtbare Arbeit, die weiterhin zunehmend nachgefragt wird: Das ist eines der Ergebnisse vom jährlichen Essener MBE-Aktionstag mit den Gästen Kai Gehring (Grüne) und Matthias Hauer (CDU). In Essen sind die AWO Essen, die Caritas, das Diakoniewerk Essen, die Evangelische Kirchengemeinde Essen-Borbeck-Vogelheim, der Verein PLANB (Mitglied im Paritätischen) und der Verein ViBB Essen Netzwerkpartner (Mitglied im Paritätischen). „Wir brauchen eine längerfristige Bewilligung von Personalstellen“, unterstrich Hanimgül Ilhan, MBE-Beraterin der AWO Essen.
Seit 15 Jahren unterstützen die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) und die Jugendmigrationsdienste (JMD) bundesweit Ratsuchende auf ihrem Weg zur Integration, Teilhabe und Selbstständigkeit – auch in Essen. Zum jährlichen MBE-Aktionstag luden die Träger des Essener Netzwerks Migrationsberatung – Jugendmigrationsdienst am Mittwoch die Bundestagsabgeordneten ihres Wahlkreises ein. Matthias Hauer (CDU) und Kai Gehring (Grüne) folgten der Einladung und bekamen nicht nur einen fundierten Rückblick auf bisher Erreichtes, sondern auch einige Wünsche mit auf den Weg nach Berlin.
Bundesweit haben die 1.460 MBE-Beratungseinrichtungen im Jahr 2019 insgesamt 560.000 Menschen beraten. In der Stadt Essen wurden 2070 Beratungsfälle im ersten Halbjahr 2020 durchgeführt – mit acht Vollzeitstellen, verteilt auf fünf Träger. Im Bereich der Jugendmigrationsdienste teilen sich in Essen sechs Mitarbeiter*innen vier Stellen. Der JMD Essen beriet im ersten Halbjahr 2020 insgesamt 619 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 27 Jahren.
Ein erstes Fazit zeigt: Mit weiter wachsender Zuwanderung nach Essen steigt auch die Nachfrage nach Unterstützung, gleichzeitig werden die Anliegen immer komplexer. Das im März 2020 in Kraft getretene Fachkräftezuwanderungsgesetz, die EU-Binnenmigration, insbesondere aus Südeuropa, und die Familienzusammenführungen sind weitere Trends, die neue Themen und Aufgaben für MBE und JMD definieren.
Es wurde deutlich: Die MBE- und JMD-Dienste haben sich als systemrelevante Regeldienste etabliert und leisten eine unverzichtbare Arbeit, die weiterhin zunehmend nachgefragt wird. Zu den wichtigsten Forderungen der versammelten Berater*innen gehört darum eine gesicherte Regelfinanzierung: „Wir brauchen eine längerfristige Bewilligung von Personalstellen. Es kann nicht sein, dass wir seit 15 Jahren als Projekt existieren“, so Hanimgül Ilhan, MBE-Beraterin der AWO Essen. Förderzusagen für mindestens eine Legislaturperiode seien nötig, um ausreichende Planungssicherheit für die Träger zu gewährleisten. Zu den weiteren Forderungen zählen die Sicherung einer flächendeckenden MBE-Versorgung auch in ländlichen Regionen, eine stärkere Einbettung in die Regeldienste sowie eine effektivere Zusammenarbeit mit den Behörden.
Einen besonderen Kraftakt bewältigten MBE und JMD im Rahmen der Corona-Pandemie, wie die authentischen Berichte einiger Berater*innen verdeutlichten: „Als die Ämter während des Lockdowns dicht machten, mussten wir da sein. Denn die Probleme unserer Klienten blieben ja gleich und wir waren ihre Brücke zu den Ämtern“, berichtete Pinar Aktürk, Beraterin des paritätischen Trägers PLANB Ruhr e. V. „Wir haben ihnen ihre Orientierungslosigkeit und ihre Ängste genommen.“ JMD-Beraterin Charlotte Heyng ergänzte: „Wir haben Plexiglaswände aufgestellt und sofort alles in Bewegung gesetzt, um die persönliche Kommunikation weiter zu ermöglichen. Denn unsere Jugendlichen haben keine Laptops. Sie haben ein Handy, aber kein Guthaben und kein Datenvolumen – sie konnten nicht auf Online-Beratung ausweichen.“
Die beiden Bundestagsabgeordneten verfolgten die Berichte und Beschreibungen aufmerksam und sichtlich beeindruckt. „Es ist unbestreitbar, welche hohe Relevanz Ihre Arbeit besitzt, gerade im Ruhrgebiet“, betonte Matthias Hauer (CDU). „Es ist wichtig, solche Erfolgsgeschichten wie Ihre zu erzählen. Sie können verhindern, dass unsere Gesellschaft bei diesem Thema noch weiter auseinanderdriftet. In uns haben Sie auf jeden Fall Fürsprecher und Unterstützer für Ihr Anliegen“, sagte Hauer, mit Zustimmung von Kai Gehring (Grüne). Matthias Hauer zeigte auch Sympathie für das Anliegen einer stetigeren Förderung: „Essen ist eine wachsende Stadt, es ist völlig klar, dass Sie nicht immer nur auf Sicht fahren können für ein Jahr.“ Auch Kai Gehring sprach von einer Erfolgsgeschichte der MBE und JMD mit ihrer Arbeit. „Sie haben ja im Grunde 365 Aktionstage im Jahr. Und der Corona-Lockdown hat die Relevanz Ihrer Arbeit noch mal ganz klar bestätigt. Ich würde da nicht von einer System-, sondern Gesellschaftsrelevanz sprechen. Diese ‚Projektitis‘ mit ihren kurzfristigen Finanzierungszusagen ist da völlig fehl am Platz.“ Der Lockdown habe vieles sichtbar gemacht, was man jetzt endlich anpacken müsse. Ein Beispiel, so Gehring: „Essen war schon vorher in der digitalen Steinzeit.“
Matthias Hauer betonte, man dürfe die Migrationspolitik zwar nicht am rechten Rand ausrichten, dürfe aber andererseits Teile der Mitte nicht verlieren. Die Migration in den Arbeitsmarkt müsse sich am Bedarf orientieren. Beide Politiker waren sich einig, dass die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Landesgesetze zur Anerkennung von Berufsabschlüssen und Qualifikationen ein wichtiger Schritt war, um die in der Gesetzesnovelle vorgesehene Frist von drei Monaten bis zum Anerkennungsbescheid einzuhalten. Einigkeit herrschte auch in der Kritik, dass Visumsanträge bei deutschen Botschaften im Ausland viel zu schleppend bearbeitet werden. Gehring: „Das kann bis zu zwei Jahren dauern – hier muss dringend Personal aufgestockt werden.“
Der MBE/JMD-Aktionstag endete mit einer klaren Aussage aller Beteiligten: MBE und JMD sind heute, 15 Jahre nach ihrer Entstehung, zweifellos system- und gesellschaftsrelevant und erfüllen unverzichtbare Auf-gaben. Das zeigte sich nicht zuletzt in der Bereitschaft beider Bundespolitiker, trotz ihrer unterschiedlichen parteipolitischen Positionen, die in Essen gehörten Anliegen und Forderungen nach Berlin zu tragen und dort zu unterstützen.