AWO Essen macht Druck gegen soziale Ungerechtigkeit

2. Sozialkonferenz im Julius-Leber-Haus mit prominenten Gästen

Corona-Pandemie, explodierende Energie- und Mietpreise, allgemeine Inflation – in der derzeitigen Dauerkrise driften immer mehr Menschen in prekäre Verhältnisse ab. Als Sozialverband kann und wird die AWO Essen nicht tatenlos zuschauen. Mit ihrer zweiten Sozialkonferenz schlug sie nun Alarm – und stellt konkrete Forderungen an die Politik.

„Wir machen Druck!“, lautete die unüberhörbare Botschaft der Veranstaltung, zu der die AWO Essen ins Julius-Leber-Haus geladen hatte. „Die Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, machte die AWO-Vorsitzende Claudia Osterholt gleich zu Beginn deutlich. Der 6. Armutsbericht der Bundesregierung, der die Borbecker Ortsvereine im vergangenen Jahr verlasst hatte, die Fortführung der Sozialkonferenz zu beantragen, spricht Bände: 14 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut betroffen, darunter 3 Millionen Kinder. Jede fünfte Rentnerin bzw. jeder fünfte Rentner lebt unterhalb der Armutsgrenze. 

Unberücksichtigt ist in diesem an sich schon desaströsen Lagebericht die Not, die die Menschen infolge der Auswirkungen des Krieges in der Ukraine schultern müssen. Michael Groß, Co-Präsident des AWO-Bundesverbandes, war eigens nach Essen gekommen, um seine bundesweit gesammelten Eindrücke zu schildern: „Die Menschen sind erschöpft. Und auch die Menschen, die für sie im Einsatz sind, sind es längst.“

Diese Erschöpfung, die Ängste und auch die Wut veranschaulichten an diesem Nachmittag AWO-Mitarbeiter*innen – darunter Pädagog*innen, Pfleger*innen, Familien- und Schuldnerberater*innen – anhand persönlicher Erfahrungen. Sie erzählten von Eltern, die ihren Kindern zu Liebe auf eigene Mahlzeiten verzichten. Von verzweifelten Senior*innen, die keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden. Von mangelnder Daseinsvorsorge, zunehmender Isolation und Überforderung. Die Erkenntnis, wie viele Facetten die Armut kennt, machte die Zuhörer*innen betroffen.

„Die große Sorge der Menschen ist, dass sie nicht beachtet werden. Viele Menschen haben wir bereits verloren. Und wir werden weitere verlieren, wenn die Politik diese Probleme nicht endlich angeht“, fasste Michael Groß zusammen. Maßnahmen wie die Energiepauschale oder die Ablösung von Hartz IV durch das Bürgergeld seien Schritte in die richtige Richtung. Langfristig jedoch müsse das Ziel eine Verteilungsgerechtigkeit sein, „bei Vermögen, Ressourcen und Möglichkeiten“. Das Geld hierfür sei vorhanden.

Dieser Stoßrichtung folgend stellt die AWO Essen konkrete Forderungen an die Politik, die bei der Sozialkonferenz unter anderem durch die Landtagsabgeordneten Thomas Kutschaty, Fraktionsvorsitzender SPD NRW, und Frank Müller, Vorsitzender der SPD Essen, vertreten war. Dazu gehören Grundsicherungen für Kinder und Rentner*innen, die Stärkung des sozialen Wohnungsbaus und eine staatliche Daseinsvorsorge bei Energie und Wärme. Auch müssten Sozialverbände wie die AWO vollumfänglich mit Mitteln ausgestattet werden, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Es kann nicht sein, dass wir wie Bittsteller auftreten müssen“, klagte AWO-Geschäftsführer Oliver Kern an.

Thomas Kutschaty, der die bis dato ausgebliebenen Notpakete seitens der Landesregierung als „unterlassene Hilfeleistung“ bezeichnete, verwies auf Vorstöße seiner Partei, um „diejenigen zu entlasten, die am stärksten entlastet werden müssen.“ Und Frank Müller appellierte an die Delegierten: „Gehen Sie der Politik, also auch uns, weiter auf die Nerven!“

Dass es dieser Aufforderung nicht bedarf, wurde im Julius-Leber-Haus überdeutlich – dafür ist bereits zu viel Druck auf dem Kessel. „Wir werden und wir bleiben laut“, versprach Oliver Kern. „Wir sind der Verband mit Herz! Wenn wir nicht anpacken – wer dann?“

Autor: Patrick Torma

 

Sieben Forderungen der AWO Essen

  1. Kein Kind darf in Armut aufwachsen. Die einkommens- und bedarfsorientierte Kindergrundsicherung muss schnellstmöglich beschlossen werden!
  2. Die Betreuungssituation in Kitas muss verbessert werden – durch eine bessere personelle Ausstattung und eine gesicherte Finanzierung!
  3. Der soziale Wohnungsbau muss gestärkt werden! Gleichzeitig müssen Bürger*innen vor einer renditeorientierten Wohnungspolitik geschützt werden!
  4. Arbeit muss gerecht bewertet werden – durch eine weitere Erhöhung des Mindestlohns und Anwendung der bestehenden Tarifverträge ohne Umgehung durch Gründung von Tochtergesellschaften!
  5. Die Situation von Menschen in prekären Lagen muss verbessert werden. Langfristig und zielgerichtet, entgegen einer „Gießkannen-Politik“!
  6. Altersarmut muss durch auskömmliche Renten bekämpft werden! Aus unserer Sicht ist eine bedingungslose Grundrente alternativlos!
  7. Energie, Wärme, Wasser – diese Daseinsvorsorge gehört in staatliche Hände. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich Versorger als „Krisengewinner“ die Taschen voll machen!
Autor*in Patrick Torma
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